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Mißachtung der norwegischen Kriegskinder nach 1945
Rückholung von norwegischen Kriegskindern aus Deutschland
Ein Tabu-Thema der Nachkriegszeit
Norwegische Kriegskinder verklagen den norwegischen Staat
Forschungprojekt über norwegische Kriegskinder
Wander-Ausstellung mit Portraits norwegisch-deutscher Kriegskinder
Nach dem deutschen Überfall auf Norwegen am 9. April 1940 stationierte die deutsche Wehrmacht bis 1945 rund eine halbe Million Besatzungs-Soldaten im Land. Während Tausende von norwegischen Widerstandskämpfern und norwegischen Juden inhaftiert und ermordet wurden, hinterließ die deutsche Besatzungsarmee auch Opfer ganz anderer Art: die so genannten "Kriegskinder" (tyskebarn = Deutschenkinder).
Wie in jedem Krieg kam es zu sexuellen Kontakten zwischen den militärischen und zivilen Besatzern und einheimischen Mädchen und Frauen. Das Spektrum reichte von Vergewaltigungen über Prostitution bis zu Liebesbeziehungen, die auch in lebenslangen Ehen mündeten.
Wenn Frauen in einem besetzten und unterdrückten Land solche Kontakte freiwillig eingehen, werden sie oft als Landesverräterinnen behandelt, geächtet und Schikanen ausgesetzt. Diese Frauen, und insbesondere ihre völlig unschuldigen Kriegskinder, geraten nach dem Krieg noch jahrelang im wahrsten Sinne des Wortes zwischen die Fronten. Jede Nation, die Opfer einer Aggression wurde, hat Schwierigkeiten, sich unbefangen mit den Schicksalen dieser Mütter und ihrer Kriegskinder auseinander zu setzen. Versöhnung braucht auch Zeit.
Während der deutscher Besatzungszeit vom 9. April 1940 bis 8. Mai 1945 und in der direkten Nachkriegszeit wurden in Norwegen etwa 10.000 bis 12.000 Kinder geboren, die eine norwegische oder samische Mutter und einen deutschen Vater hatten. Bis Kriegsende erfasste die deutsche Besatzungsmacht etwa 8.000 dieser so genannten Kriegskinder, zumeist in den Lebensborn-Akten. Weitere circa 1.900 Kriegskinder wurden später von norwegischen Behörden registriert, denn die letzten deutschen Soldaten verließen Norwegen erst 1947. Die genaue Anzahl der Kriegskinder ist zweifellos höher, kann aber nicht genau ermittelt werden, da viele Frauen einen Norweger als Vater des Kindes angaben oder gar keine Angaben gemacht haben.
1935 wurde in Deutschland die SS-Institution Lebensborn e.V. gegründet. Ihre Aufgabe bestand darin, "rassisch und erbbiologisch wertvolle Kinder" für die Eliteeinheit der Nationalsozialisten heranzuziehen. Das deutsche Volk durch die "nordische Rasse" zu "veredeln" war ein weiteres Ziel dieser Institution.
1941 eröffnete der Lebensborn e.V. das erste Entbindungs- und Kinderheim in Norwegen. Es war zugleich die erste derartige Lebensborn-Einrichtung außerhalb Deutschlands. Weitere neun Heime folgten in den nächsten Kriegsjahren.
Später wurde oft behauptet, der Lebensborn habe in Norwegen das Ziel der "Rassenveredlung" durch das gezielte Zusammenbringen von Paaren verfolgt. Dies konnte nach eingehender Forschung eindeutig widerlegt werden. Der Lebensborn kam mit den Paaren erst in Kontakt, wenn bereits eine Schwangerschaft bestand und half dann besonders den Müttern bei der Entbindung und in der Säuglingszeit. Diese durchaus soziale Fürsorge kam indes nur den "richtigen" nordischen Frauen zu Gute. Für Kinder zum Beispiel von samischen Frauen und deutschen Soldaten fühlte der Lebensborn sich nicht direkt zuständig, obwohl auch in diesen Fällen eine genaue Erfassung durchgeführt wurde.
An jeder Mutter, an jedem Kind wurden Untersuchungen und Bewertungen zur "Rasse" vorgenommen. Fühlte sich eine Frau nicht in der Lage ihr Kind zu behalten, konnte sie es zur Adoption freigeben. Auch darum kümmerte sich der Lebensborn, aber nicht, ohne die "Rassenqualitäten" dieser Kinder genau zu überprüfen. Wurden sie als "nicht wertvoll" eingestuft, überließ der Lebensborn sie in der Regel norwegischen Paaren zur Adoption. "Rasse- und erbbiologisch wertvolle" Kinder, die von ihrer Mutter zur Adoption frei gegeben wurden, sollten dagegen durch den Lebensborn möglichst an Familien in Deutschland vermittelt werden. Etwa 250 dieser Kinder gelangten so während des Krieges nach Deutschland.
Für viele Kriegskinder und deren Mütter begannen die großen Schwierigkeiten erst nach dem Ende der Besatzungszeit. Jene Norwegerinnen, die während des Krieges Beziehungen zu den deutschen Besatzern eingegangen waren, wurden von ihren Landsleuten verachtet (tysketøser = Deutschenflittchen) und teilweise auch mißhandelt. Man behandelte sie als Verräterinnen und Kollaborateure. Das übertrug sich auch auf ihre Kinder. Viele Norweger fanden, dass diese Kriegskinder nach Deutschland gehörten. Es bestand die unterschwellige Angst, im eigenen Land eine "5. Kolonne" Nazi-Deutschlands aufzuziehen, die später die Macht in Norwegen übernehmen würde. Im Sommer 1945 wurde eine staatliche norwegische Kommission ernannt, die über das Schicksal dieser Kinder entscheiden sollte. Diese Kommission lehnte aber eine Ausweisung der norwegischen Kriegskinder nach Deutschland ab.
Im Frühjahr 1947 starteten norwegische Behörden eine Suchaktion zur Rückführung der zur Adoption nach Deutschland überführten Kriegskinder. Ungefähr 50 dieser Kinder, die alle die norwegische Staatsbürgerschaft besaßen, wurden daraufhin aus dem besetzten Nachkriegs-Deutschland nach Norwegen geholt. Einige entriss man durchaus gewaltsam ihren deutschen Pflegefamilien, in denen es ihnen zumeist gut gegangen war. In Norwegen kamen viele dieser Kinder, die bis zu 7 Jahre alt waren, in Kinderheime. Sie sprachen ausschließlich Deutsch, womit sie im Nachkriegs-Norwegen nirgendwo auf Sympathie stießen. Viele hatten wegen ihrer Herkunft in der Schule, unter ihren Nachbarn und auch in der eigenen Familie sehr zu leiden. Staatliche Behörden ignorierten derartige Schwierigkeiten wissentlich. Da bei einigen Kindern diese Behandlung zu seelischen Störungen führte, wurden sie einfach in psychiatrische Anstalten eingewiesen und zusammen mit Geisteskranken weggesperrt, obwohl sie über eine normale Intelligenz verfügten.
Gut 80 norwegische Kriegskinder verblieben in Deutschland. Etwa 30 von ihnen lebten in der sowjetisch besetzten Zone, der späteren DDR. Wegen des beginnenden "Kalten Krieges" konnten diese 30 Kinder entweder nicht ermittelt oder nicht zurückgebracht werden. So wuchsen sie in der DDR auf, allerdings mit norwegischer Staatsbürgerschaft. Die DDR-Staatssicherheit (Stasi) hat in den 1960er Jahren die Personalien einiger dieser Norweger benutzt, um den eigenen Agenten norwegische Pässe zu verschaffen, damit diese unter falscher Identität nach West-Europa reisen konnten.
Während in den ersten Nachkriegsjahren das "Problem" Kriegskinder in Norwegen ein Dauerthema war, wurde es in den folgenden Jahrzehnten eher still darum. Bis weit in die 1980er Jahre hinein war dann das Thema tabu. Die Kriegskinder schämten sich ihrer Herkunft, die norwegische Gesellschaft schwieg dazu, und die Institutionen hielten sich bewußt zurück. Bis 1986. Dann trat in Norwegen ein neues Adoptionsgesetz in Kraft. Es gibt Adoptierten das Recht zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Viele tausend norwegische Kriegskinder haben sich daraufhin an die Archive gewandt, um Informationen über ihre Väter und deren Familien in Deutschland zu erhalten.
In den 1980er Jahren wich das Schweigen einem beträchtlichen Medieninteresse. Den Schicksalen der Kriegskinder näherte man sich jetzt mit mehr Sympathie und Verständnis, die Rolle der norwegischen Behörden in der Nachkriegszeit wurde zunehmend kritisch betrachtet. Einen wesentlichen Vorschub brachte auch der Zusammenschluß der norwegischen Kriegskinder in einem eigenen Verein "Røtter" (Wurzeln). Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in einer Entschädigungs-Klage, welche die Kriegskinder gegen den norwegischen Staat anstrengten. Der Prozess begann im Oktober 2001 in Oslo.
Kjell Magne Bondevik, ehemaliger norwegischer Ministerpräsident, entschuldigte sich in seiner Neujahrsansprache an das norwegische Volk 1998/99 bei den Kriegskindern mit norwegischer Herkunft für deren Behandlung durch den norwegischen Staat nach dem Krieg. Dem folgte ein Beschluss der norwegischen Regierung, den Schicksalen der Kriegskinder und den Bedingungen, unter denen sie in der Nachkriegszeit zu leiden hatten, nachzugehen. Der Norwegische Forschungsrat (Norges Forskningsråd) wurde mit einem entsprechenden Forschungsprojekt betraut. Da die Forderungen nach Entschädigung bis zur Vorlage dieser Forschungsergebnisse ruhen sollen, sehen viele Betroffenen darin nur eine geschickt arrangierte Verzögung ihrer Ansprüche und andererseits eine Hoffnung der Behörden auf eine automatische biologische "Endlösung" durch den Tod der Kriegskinder, um die Gesamtsumme der Entschädigungen möglichst niedrig zu halten.
Von der Mehrzahl der geschätzten 10.000 bis 12.000 norwegisch-deutschen Kriegskinder haben wir wenig Kenntnis über ihre Kindheit, ihre Entwicklung und ihren Werdegang. Einige von ihnen haben kaum unter ihrer Herkunft gelitten, andere wurden für ihr ganzes Leben durch ihre Leiden als Kriegskind geprägt.
Etwa 60 Jahre nach dem Ende des Krieges ist das Schicksal dieser norwegisch-deutschen Kriegskinder wieder zu einem Thema geworden. Es ist ein neues Beispiel dafür, dass Geschichte nirgendwo verdrängt werden kann.Willy Brandts Wunsch nach Toleranz und Versöhnung ist aktuell geblieben.
Text: Kåre Olsen, Oslo (ehemaliger Mitarbeiter im norwegischen Riksarkiv in Oslo)
Bearbeitung und Ergänzung des Textes für diese Internet-Seite: Roland Masslich
Zur Thematik der norwegisch-deutschen Kriegskinder ist bei der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung ein Projekt erarbeitet worden, das in Kombination mit einer beeindruckenden Photo-Serie des Photographen Einar Bangsund mit Portraits der inzwischen erwachsenen Kriegskinder eine informative Veranstaltungs-Einheit in Form einer Wander-Ausstellung bildet.
Titel: Kriegskinder. Kinder von deutschen Soldaten und norwegischen Frauen 1940 - 1945.
Photographien: Einar Bangsund
Projektleitung: Thrine Thommessen, Berlin
Beratung: Stefanie Reisinger, Berlin
Berlin, Juni 2001 (Eröffnung)
Oslo, November 2001
Tromsø, Januar 2002
Bergen (Norwegen), März 2002
Erfurt, Europäisches Kultur- und Informationszentrum in Thüringen, September 2002
Hadamar, Gedenkstätte, Oktober 2002
Essen, Verdi Gewerkschaftshaus, Februar 2003
Dortmund
Diese Wander-Ausstellung kann gerne für weitere Veranstaltungsorte zur Verfügung gestellt werden. Entsprechende Informationsträger wie Plakate und Handzettel sind vorhanden. Bei Interesse wenden Sie sich bitte direkt an Einar Bangsund oder an die Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt-Stiftung (Kontakt-Informationen siehe unten).
Die Ausstellung basiert auf der Idee von Einar Bangsund, seine persönliche Geschichte als norwegisches Kriegskind photographisch zu erfassen. Nachdem er die historisch-gesellschaftliche Dimension des Themas erkannt hatte, begann er mit der in der Ausstellung gezeigten Arbeit. Die Photographien entstanden dort, wo sich die abgebildeten Personen mit Einar Bangsund trafen. Es wurde kein Kunstlicht eingesetzt. Für jedes Kriegskind verwendete Bangsund nicht mehr als einen Film mit zwölf Negativen.
Einar Bangsund, Chemnitzer Str. 73, 44139 Dortmund, Tel: 0231-104987, Fax: 0231-104987, E-Mail: bangsund@t-online.de
(Norwegischer Kriegskinderverband)
Carl Qtto Ingebretsen, Postboks 212, Ulvøya, 0139 Oslo, Tel: 22298134, E-Mail: nkbf@nkbf.no, Internet: http://www.nkbf.no
(Im Geiste Willy Brandts will die Stiftung Kenntnisse über das gesellschaftliche Leben, die Kultur und die Sprache von Norwegen und Deutschland vermitteln und fördert hierzu den Dialog zwischen den beiden Ländern. Sie verleiht jährlich den Willy-Brandt-Preis an Personen oder Institutionen, die mit ihrer Arbeit einen besonders verdienstvollen Beitrag zum Ausbau der norwegisch-deutschen Beziehungen geleistet haben.)
Deutschland: c/o Kgl. Norwegische Botschaft, Rauchstr. 1, 10787 Berlin, Tel.: 0-30-50 50 50
Norge: c/o Utenriksdepartementet, Postboks 8114 Dep, 0032 Oslo, Norge
Internet: http://www.willy-brandt-stiftung.de, E-Mail: info@willy-brandt-stiftung.de
(Foto-Designer, freier Künstler, norwegisch-deutsches Kriegskind)
Chemnitzer Str. 73, 44139 Dortmund, Tel: 0231-104987, Fax: 0231-104987, E-Mail: bangsund@t-online.de
(Hilfe bei der Suche nach Familienangehörigen von norwegischen Kriegskindern)
Brandaustr. 13, 12277 Berlin, Tel: 030-7412535, Internet: Biographie: Ragnhild Führer
Literatur:
(folgt später, Vorab-Informationen auf Anfrage)
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