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Arbeitsgruppe Erinnern wider das Vergessen

Auf der Viermastbark "Moshulu" im Winter 1942-1943 in Nord-Norwegen

von Fritz Fadranski

Im Jahre 1942 gegen Ende September oder Anfang Oktober wurde ich mit 10 weiteren Angehörigen der Kriegsmarine von Oslo, wo wir im Blücherlager auf der Insel Hovedøya gesammelt wurden, nach Hammerfest kommandiert. Bis Trondheim fuhren wir mit der Bahn und von dort weiter mit einem Hurtigrutenboot nach Hammerfest, die Fahrzeit betrug etwa 10 bis 12 Tage.

Meine neue Einheit war die Hafenschutzflottille Hammerfest, und ich kam zunächst auf den umgebauten Fischdampfer "Samoa" mit der Bezeichnung NH 01(NH stand für Nanni Hans). Der Kommandant war ein Gabers. Auf diesem Boot begegnete mir ein Maschinen-Maat namens Jacobi, und ich fragte ihn, ob er zufällig einen Gerhard Jacobi aus dem Ort Theissen kennt, mit dem ich die Bau-Berufsschule in Zeitz besucht hatte. Er sagte "Ja, das ist mein Bruder." Ich war erfreut, dass ich in der nördlichsten Stadt der Welt einen Bekannten getroffen hatte und dabei fast vergessen, dass ich seit über 4 Monaten ein deutscher Marine-Soldat war. Der Jakobi holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück, indem er plötzlich sagte: "Stehen Sie stramm, wenn Sie mit mir sprechen". Ich folgte seinem Wunsche und war so sehr enttäuscht, dass ich diesen Menschen nie mehr angesprochen habe.

Passend zu dieser Story: Es war der Heiligabend 1943, und wir waren als Wachboot im Hafen von Hammerfest eingeteilt, als ein Schlepper am Dampfschiffskai anlegte. Immer wenn ein fremdes Boot in den Hafen kam, war man neugierig, ob ein bekanntes Gesicht dabei ist, und ich habe mir bald den Hals dabei verdreht. Plötzlich sah ich jemanden, bei dem ich fast sicher war ihn zu kennen und rufe: "Heinz!!!" Er dreht sich um und ruft zurück: "Mensch Fritz, was machst Du denn hier oben?" Wir haben uns freudig begrüßt. Es war der Heinz Beuchelt aus unserem Nachbarort Nonnewitz, und auch mit ihm war ich 3 Jahre in der Bau-Berufsschule. Nun gab es viel zu erzählen. Er war auf der "Scharnhorst", und sie holten mit dem Schlepper Kantinenware aus Hammerfest zum Liegeplatz bei Alta, weil sie am 1.Weihnachtstag auslaufen müssen, einem englischen Geleitzug entgegen bei der Bäreninsel. Heinz Beuchelt ging nicht mit zum Verpflegungslager, er blieb bei mir an Bord, und wir sprachen bei einem Glas Rum und einer Flasche Becksbier über Gegenwart und Zukunft. Aber für Heinz Beuchelt gab es leider keine Zukunft mehr, denn am 2. Weihnachtstag 1943 wurde das Schlachtschiff "Scharnhorst" zwischen Nordkap und Bäreninsel von den Engländern versenkt. Es gab von 1968 Mann Besatzung nur 36 Überlebende. Auch mein Schulfreund Heinz Beuchelt fand im Eismeer den so genannten "Heldentod."

Zum Oktober 1942 zurück: Nach etwa 3 Wochen Dienst in Hammerfest wurde ich zum Hafen Honningsvåg auf der Nordkap-Insel Magerøya kommandiert. Die Fahrt mit einem leichten Minenräumboot mit Sperrholz-Rumpf und 90cm Tiefgang bei stürmischer See war grausam. Ich war total seekrank bis zum geht-nicht-mehr. Die Fahrt dauerte etwa 3 Stunden, aber für mich war es eine Ewigkeit. Ich weiß nicht einmal, wie ich an Bord der Viermastbark "Moshulu" gekommen bin, so fertig und leer war ich bei der Ankunft in Honningsvåg. An Bord waren bereits 6 deutsche Matrosen, und ich war der 7. Mann. Außerdem waren noch 2 Åland-Finnen auf dem Schiff. Der Ältere der beiden (vermutlich handelte es sich um den Segelmacher John Sommarström) erzählte, dass er schon über 20 Jahre an Bord sei, mehrfach um Kap Hoorn gesegelt, und einmal hätte die "Moshulu" das Wettsegeln um die schnellste Weizenfahrt von Australien ("grain race") gewonnen (das war 1939 mit 91 Tagen bei der Fahrt von Port Victoria {Spencer Golf, Australien} rund Kap Hoorn nach Queenstown). Der jüngere Åland-Finne soll seit 5 Jahren an Bord gewesen sein. Ich nun, damals 18 Jahre alt und von Disziplin und Gehorsam geprägt, war etwas stolz, mit so einem alten Seebären auf so einem alten Segelschiff zu fahren, auch wenn es abgetakelt war (die Masten ohne Segel, aber mit allen Tauen). Schade war es nur, dass ich kein Finnisch (Schwedisch?) verstand, ich glaube, der konnte viel erzählen. Weniger erfreut war ich über die harte Arbeit, die nun auf mich zukam.

Die "Moshulu" lag in Honningsvåg in der Holmbukt am Kohlenpier, festgemacht mit 4 Trossen. Vor- und Achterleinen waren 2 Hanfseile, so dick wie der Arm, und dann noch 2 Springs (Stahltrossen) von 3 bis 4 cm Durchmesser am Holzpier und an den Holzpollern. Es waren keine Hilfsmaschinen an Bord, alles wurde mit dem Spill per Hand gemacht. Als Ladung aus Südnorwegen waren neue Barackenteile für 16 Baracken an Bord, das Ziel war der Hafen Kirkenes an der Eismeerfront. Wir mussten noch auf den Hochseeschlepper "Atlantic" und zwei Minenräumboote warten, und so konnten immer ein paar Mann der Besatzung zum Ort Honningsvåg rudern ins Kino oder Soldatenheim, zum Laufen um die Bucht herum war es zu weit. Eines Tages wurde ein sehr bekannter Film gespielt, ich glaube es war der damals am meisten gesehene Film "Maske in Blau." Von uns waren 4 Mann rüber gerudert, und mit 3 Mann blieben wir an Bord als Wache zurück. Nach etwa 1,5 Stunden wurde es plötzlich finster, und ein gewaltiger Schneesturm setzte ein, der Sturm peitschte den Schnee waagerecht über die Bucht von Honningsvåg, das muss ein "Blizzard" gewesen sein. Wir lagen zwar im Windschatten der kahlen Berge, aber der Sturm fegte über den Berg durch eine Senke und drückte mit voller Wucht gegen die über 50 Meter hohen Masten, das war natürlich zu viel für den Holzpier und die Holzpoller. Der Wind heulte in den Masten und in der noch vorhandenen Takelung, die Trossen waren zum Zerreißen angespannt, innerhalb kurzer Zeit hatten wir einen halben Meter Schnee an Deck. Wir haben uns in unsere Unterkunft verdrückt, da war es wärmer, ein fast 2 Meter hoher eiserner Kohleofen sorgte dafür, welcher ständig fast bis zum Glühen beheizt werden musste, denn nicht nur das Schiff war aus kaltem Stahl, sondern auch sämtliche Decksaufbauten. Später im Winter, als es noch kälter wurde, haben wir das so richtig zu spüren bekommen. Unsere Unterkunft bestand aus einem Raum und war zugleich Küche, Aufenthaltsraum, Waschraum und Schlafraum. Die zwei Åland-Finnen waren in der Kapitänskajüte untergebracht. Als es noch kälter wurde, waren die Stahlwände von innen mit einer mehrere Zentimeter dicken Eisschicht bedeckt, die Unterkunft wurde zum Eispalast. Nur etwa 2 Meter beim Ofen, der in der Ecke stand, war die Wand eisfrei.

Draußen tobte noch immer der Sturm, und nur wer einmal solch einen Blizzard erlebt hat, kann sich ein Bild davon machen. Wir waren gerade dabei, uns mit einer Tasse heißem Tee aufzuwärmen, der Sturm heulte in den Masten und wurde immer stärker, das Schiff legte sich etwas zur Leeseite, plötzlich ein Krachen und Bersten, die vordere Trosse sauste mit dem Poller und einem Teil vom Pier durch die Luft, wie an einem Gummiseil federnd, auch die Spring nach achtern riss den Poller mit. Nun war das Schiff vorn frei und drehte vom Pier ab. Hilflos waren wir dem Schicksal ausgeliefert, wir hatten zwar den Signalgast dabei, aber kein Funkgerät, nur die "Klappbux" (Licht-Morsegerät), und die war bei dem Schneetreiben von der Signalstelle nicht zu sehen. Der tonnenschwere Stock-Anker hing über der Reling, aber wir hatten keine Winsch, um das Ding zu bewegen. So mussten wir im inzwischen kniehohen Schnee und vor Kälte zitternd zusehen, wie das Schiff, das nur noch achtern fest war, sich um 180 Grad drehte und langsam aber sicher gegen die nahe Felswand krachte.

Als die 4 Landgänger zurück kamen, mussten sie uns erst suchen, denn wir hatten unfreiwilligerweise 50 bis 100 Meter verholt, und die hatten von dem Unglück nichts mitbekommen. Nun mussten sie nur noch an Bord kommen, aber wie, der Wind trieb das Schiff wieder vom Felsen weg. Aber es hing zum Glück noch achtern fest, eine Jakobsleiter oder ein Fallreep hatten wir nicht, so sind die 4 Matrosen an der armdicken Hanftrosse hochgeentert. Das klingt wie Seemannsgarn, ich würde es vielleicht auch bezweifeln, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte. Wir waren natürlich heilfroh, dass keiner von den Burschen in den Bach (also das eiskalte Hafenwasser) gefallen ist.

Wir machten uns nun gleich im Laderaum auf die Suche nach einem durch den Aufprall am Felsen eventuell entstandenen Leck und unsere Befürchtung wurde durch ein leises Plätschern bestätigt. Inzwischen hatte das Schneetreiben nachgelassen, es war mittlerweile weit nach Mitternacht, und wir hatten endlich Kontakt mit der Signalstelle, so dass wir die Havarie melden konnten. Die Barackenteile mussten umgestapelt werden, um an das Leck zu kommen. Es war ein Riss von etwa einem halben Meter, wo nun das Wasser durchgepresst wurde, und es musste schnell gehandelt werden, denn es gab auch keine Lenzpumpe an Bord. Ein herbeigerufenes Werkstatt-Schiff hat am nächsten Tag das Leck mit Zement abgedichtet.

Inzwischen waren auch der Schlepper "Atlantic" und die Begleitboote eingetroffen, und die Fahrt um das Nordkap nach Kirkenes konnte beginnen. Diese Fahrt werde ich nie vergessen, während ich diese Zeilen schreibe, bin ich 72 Jahre alt, und damals war ich gerade mal 18 Jahre. Die zwei Räumboote voraus, dann der Hochseeschlepper "Atlantic", und im Schlepp die "Moshulu". Ein sagenhafter Geleitzug: 4 Mann auf dem Bug als Posten Ausguck, an Backbord ein Mann und an Steuerbord ein Mann wegen eventuell abgeschnittener Seeminen, zwei Mann, die die Schlepptrosse im Auge behalten mussten und 2 Kräftige am Handsteuerrad. Sturm, Schnee und Kälte peitschten ins Gesicht, weit voraus im Sturm war die Fischer-Halbinsel in Sicht, und wenn es etwas aufklarte, konnten wir mit dem Fernglas die in die Felsen eingebauten Geschütz-Stellungen der Russen erkennen. Mir ist es noch heute ein Rätsel, dass die uns nicht gesehen haben sollen bei einer Masthöhe von über 50 Metern. Ich glaube, die hatten auch die Nase voll bei dem Sauwetter, oder sie haben uns noch bedauert, denn wir hatten mit uns, mit dem Sturm und mit der See zu kämpfen. Wir waren jedenfalls froh, als wir wieder außer Sichtweite waren. Das nächste Hindernis war das Eis, denn der Bøkfjord war zugefroren. Die Räumboote hatten 4 Minen zerstört, die leichten Boote konnten aber nicht durch das Eis, und der Schlepper brachte unsere "Moshulu" sicher in den Hafen von Kirkenes.

In Gefangenschaft geratene sowjetische Soldaten mussten nun bei sage und schreibe 52 Grad Kälte die Barackenteile entladen, denn wir hatten zu allem Unglück 1942 - 1943 auch noch einen der kältesten Winter. Die Russen taten uns leid, sie waren nur leicht bekleidet, an den Beinen zum Teil nur Lappen, ich sehe sie noch heute vor Kälte zittern. Wir mussten sie bei der Arbeit bewachen und hatten Pelzmantel, Pelzmütze und Filzstiefel an, so dass nur noch die Augen frei waren. Das Gewehr mussten wir unter den Arm klemmen, denn der Riemen war zu kurz um es über die Schulter zu hängen, so hatten wir uns eingepackt. Obwohl es streng verboten war und mit Tatbericht bestraft wurde, haben wir den Russen heimlich Essen und Tabak zugesteckt und manchen dankbaren Blick sehe ich noch heute, und zu ihrem Glück hatten wir 7 "Moshulu"-Matrosen die Bewachung selber vorzunehmen, bis die Ladung gelöscht war. Die Verpflegung auf dieser "Traumreise" waren ausschließlich Nudeln und 2 mal die Woche Trockenkartoffeln als Pürree. Gulasch mit Nudeln oder Nudeln mit Gulasch, Nudeln mit Backobst oder Nudeln mit Zucker, usw. Anmerkung: Das harte Schicksal der russischen Kriegsgefangenen wird bestätigt im Bericht eines Angehörigen der M.A. (Marine-Artillerie?), der bei der Bewachung der Russen, die bei der "Moshulu" oder "Sørlandet" arbeiten mussten, Erfrierungen erlitten hatte und auf dem Lazarettschiff "Vasan"(?) in Kirkenes behandelt wurde.

Die zwei Finnen sind in Kirkenes ausgestiegen, wobei dem Älteren die Tränen näher waren als die Freude. Die "Moshulu" blieb in Kirkenes als Lagerschiff für Sperrwaffen (Wasserbomben, Seeminen, usw.). Ich kam wieder nach Hammerfest zurück zur Hafenschutzflottille, wie weiß ich heute nicht mehr. Und von der "Moshulu" habe ich in den nächsten Jahren nichts weiter gehört, obwohl ich bis 1945 in Nord-Norwegen war.

Fritz Fadranski, Düren, im Juni 1996

 

Bearbeitung: Roland Masslich

 

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